Entstehung von Tai Chi Chuan

 

Die Entstehungsgeschichte des Yang-Taijiquan in der vorherrschenden "Mainstream"-Version geht von dem daoistischen Mönch Zhang Sanfeng als Urvater oder direkten Gründer des Taijiquan aus.

 

Er soll um die Zeit des Dynastiewechsels von der Ming- zur Qing-(Mandschu-)Dynastie, der sich 1644 vollzog, gelebt haben. Taijiquan gehört demnach zur "Inneren Schule" Neijiaquan der chinesischen Kampfkünste, die in den daoistischen Klöstern des Wudang Gebirge ihren geographischen und philosophischen Ursprung haben. Sie sind das konzeptionelle und ideologische Gegenstück zu der "Äußeren Schule" Waijiaquan des buddhistischen Shaolin-Klosters.

 

Taijiquan bzw. die Essenz der Inneren Schule des Zhang Sanfeng soll dann an Wang Zongyue weitergegeben worden sein. Durch Wang Zongyues Schüler Jiang Fa wurden dann schließlich die daoistischen Kampfkunstkonzepte und -prinzipien an Chen Changxing (1771-1853) aus dem Dorf Chenjiagou in der nordchinesischen Provinz Henan überliefert.

 

In Chenjiagou wurde in geschlossener Familientradition innerhalb der Chen-Sippe, angefangen von Chen Wangting um 1660, ein Familienstil tradiert, der sich Paochui, "Kanonen-Hämmern", nennt und seine Ursprünge im Shaolin-Kloster hat. Durch den Einfluss der Inneren Schule soll dann der Chen-Familienstil "weicher" geworden sein.

 

Chen Changxing unterrichtete erstmals einen Schüler außerhalb der Chen-Sippe, nämlich Yang Luchan (1799-1872). Yang Luchan, der Begründer des Yang-Stils des Taijiquan, machte schließlich die von Chen Changxing überlieferte Kampfkunst in der Hauptstadt Beijing bekannt, indem er in zahlreichen Herausforderungen unbesiegt blieb.

 

Er und seine Söhne Yang Banhou (1837-1892) und Yang Jianhou (1839-1917) unterrichteten in Beijing eine kaiserliche Ausbildungsdivision, vor allem aber Verwandte des Kaiserhauses. Um das Training den körperlich verweichlichten Verwandten des Kaisers anzupassen, soll dann das Üben der Hauptform des Yang-Stils verlangsamt und explosive Bewegungen abgewandelt oder entfernt worden sein.

 

Nur noch der Gesundheitsaspekt sei dem mandschurischen Adel vermittelbar gewesen. Das sei dann der Grund dafür, dass der Yang-Stil entschärft und die charakteristische langsame Form angenommen habe. Nachdem 1911 die Monarchie einer unstabilen Republik Platz gemacht hatte, musste sich auch die Yang-Familie umorientieren. Taijiquan wurde einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

 

Yang Chengfu (1883-1936), der dritte Sohn von Yang Jianhou, spielte hierbei die aktivste Rolle. Er trieb die Verbreitung des Stils auch in Südchina voran und verbrachte seine letzten Jahre in Shanghai. Er vereinfachte die Hauptform immer weiter und setzte bis heutige gültige Standards für das Yang-Taijiquan.

 

Diese - stark verkürzte - Entstehungsgeschichte des Taijiquan im Yang-Stil ist heute in China, Taiwan und im Westen in der einen oder anderen Variation, ausgeschmückt mit zahlreichen Anekdoten, bestens bekannt.

 

Die Geschichte des Taijiquan wird dabei in einer kontinuierlichen und zwangsläufigen Entwicklungslinie von einer erhabenen daoistischen Kampfkunst, hin zu einer rein chinesisch geprägten Gesundheitsmethode und Gymnastik dargestellt.

 

Text: Stefan Gätzner