Der deutsche Pfarrer und Pädagoge Richard Wilhelm lebte von 1899 bis 1921 in China.
Sein Buch mit Erlebnissen aus dieser Epoche ist ein Zeitzeugnis vom Wandel Chinas aus der Sicht eines Wandlers zwischen den Welten. Mit viel Sympathie beschreibt Richard Wilhelm den Alltag in China aus seiner Sicht.
Besonders faszinierend finde ich bei der Lektüre, wie die Zuneigung und Begeisterung für die chinesische Lebensart sich durch das gesamte Buch (und damit über mehrere Jahrzehnte hinweg) trägt.
Gerade die Zeit, die Wilhelm erlebte mit dem Zusammenbruch des Kaiserreiches und der jungen Republik sind spannende Zeiten des jungen Chinas.
Richard Wilhelm lebt und wirkte in Qingdao (oder auch Tsingtao), dass damals Deutsches Gebiet war.
Mit dem Zusammenbruch des chinesischen Kaiserreiches flüchteten sich auch hohe Beamte in das deutsche Gebiet und so gibt es in dem Buch interessante Kapitel über Gesprächsrunden mit hohen Beamten und Gelehrten und deren Sicht auf die Entwicklung. Spannende Zeitzeugnisse.
Als ich in Qingdao Taiji Bailong Ball lernte, war ich in einem ehemaligen Missionsgelände im Laoshan Gebirge und war damals schon begeistert von der Verbindung zwischen dem Alten (chinesischer Tempel) und dem neueren (Fachwerkgebäude aus der Kaiserzeit) und dem modernen (Hochhäuser).
Auf den chinesischen Märkten und im Miteinander ist eine Milde und Harmonie zu erfahren, die Wilhelm als Seele Chinas bezeichnet.
Besser könnte ich meine Reiseerfahrungen nicht schildern. Leider habe ich dieses wertvolle Buch erst später entdeckt, denn es ist ein sehr gut geeigneter Reiseführer in die chinesische Kultur.
"In diesem Sinn ist die chinesische Lebensweisheit Heilmittel und Rettung für das moderne Europa.
Denn so seltsam es klingt: die alte chinesische Lebensweisheit besitzt die Kraft der Kindlichkeit.
So alt das chinesische Volk auch ist, es hat nichts Greisenhaftes an sich, sondern lebt aus der Harmlosigkeit, wie sie Kindern eigen ist." Seite 373.
Ein Ahnenaltar hat sich seit Richard Wilhelms Zeit bis heute kaum verändert. Auf dem Bild ist ein Altar aus einem Privathaus zu sehen, wo ich in Hangzhou eingeladen war.
Die Beschreibungen dieser Ahnenaltare findet man bei Richard Wilhelm genauso, wie auch die Besonderheiten beim Miteinander.
Wer sitzt an welchem Platz? Wie ist der Ablauf eines traditionellen Treffens? Auf meinen Reisen habe ich Erfahrungen aus der traditionellen Kampfkunst machen dürfen, die sich aber komplett mit der Beschreibungen deckt, die 100 Jahre alt sind.
Die gesellschaftliche Kultur hat sich in China bis in die Moderne bewahrt. Und so wie es in unserer Kultur eine Sitzordnung gibt, ist natürlich auch im chinesischen eine Sitzordnung gegeben, die sich für uns Europäer aber nicht sofort erschließt. Richard Wilhelm hat auch diesen Bereich des chinesischen Lebens beleuchtet und gibt einem gute Hinweise.
Und wie sich Sätze lesen, die fast 100 Jahre alt sind: "Deutschland nimmt in allen diesen Entwicklungen eine Sonderrolle ein. Es ist vollkommen desinteressiert. Das einzige Interesse besteht in der Förderung und Ausgestaltung wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen. " Die Geschichte scheint sich in vielerlei Sicht zu wiederholen.
Zum Schluss schlägt dann doch noch der Pfarrer in dem Buch durch und auch hier ist zu erkennen, wie der Aufenthalt in China einiges verändert hat.
Lesenswert.
Jan
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Serge und Iris (Donnerstag, 17 März 2022 14:21)
Lieber Jan,
das scheint ein tolles und interessantes Buch zu sein, bei dem du gar Vergleiche mit deinen eigenen Erfahrungen ziehen kannst - die sich dann gar tatsächlich auch gleichen.
Danke!
Komm‘/t weiterhin gut durch diese unwirkliche Zeit.