Kraftvoll und gelassen mit Tai Chi

Von Ute F. Wegner (15. August 2012)

Regelmäßige Tai-Chi-Übungen wirken sich positiv auf die Gesundheit aus.

Schattenboxen ist gesund. Studien ergaben: Regelmäßiges Üben von Tai Chi kann offenbar bei Parkinson und anderen Erkrankungen Beschwerden lindern.

 

Mark S., steht ständig unter Strom. Der 35-jährige Steuerberater, seit zwei Jahren selbstständig, schläft schlecht, mag nichts essen, hat ständig einen Kloß im Hals. Um zur Ruhe zu kommen und Stress abzubauen, beginnt er mit Tai Chi Chuan, einer uralten Heil- und Kampfkunst aus China, abgekürzt Tai Chi.

"Er war Burn-out-gefährdet, als er zu mir in den Unterricht kam", sagt Jan Leminsky, Tai-Chi-Lehrer, Ausbilder und Inhaber einer Tai-Chi-Schule in Hamburg. Anfangs fällt es Mark S. schwer, Trainingstermine in seinen Kalender einzuplanen. Er merkt aber, dass die fließenden Bewegungen ihm gut tun, und bleibt dabei. "Tai Chi ersetzt keinen Arzt", sagt Jan Lemisnky, "aber gerade wenn eine Erkrankung noch nicht voll ausgebrochen ist, kann man etwas bewirken."

 

Tai Chi wird nach festgelegten Choreographien geübt

 

Die Wurzeln des chinesischen "Schattenboxens", wie die Kampfkunst bei uns auch genannt wird, reichen bis ins vierte vorchristliche Jahrhundert in China zurück. Die damals praktizierten "lebensfördernden Techniken" ähnelten bereits den Übungen des Tai Chi Chuan, das im Kaiserreich China entwickelt wurde. Tai Chi Chuan heißt: Die höchste Kunst der Faust.

 Das Zentrum der Übungen sind sogenannte Formen, festgelegte Choreographien meist fließend ineinander übergehender Bewegungen. Sie stellen den Kampf mit einem imaginären Gegner dar. Die Einzelbewegungen sind "Bilder", deren oft poetische Namen den Charakter der Bewegung zeigen wie "die Mähne des Wildpferds teilen" oder "der weiße Kranich breitet seine Flügel aus".

Viele der Formen werden nach der Anzahl ihrer Bilder benannt, wie etwa die 24-er oder auch Peking-Form. "Man kann sie in einem Jahr lernen", erklärt Jan Leminsky, sie dauert fünf Minuten." Um die gesundheitliche Wirkung zu erhöhen, durchläuft man die Form dreimal hintereinander, nachdem man zuvor fünfzehn Minuten lang eine spezielle Ruhepose eingenommen hat. Übungszeit insgesamt: eine halbe Stunde. "Das sind Zeithorizonte, die für uns realistisch sind", betont Jan Leminsky. Zum Vergleich: Die längsten traditionellen Formen haben mehr als 100 Bilder.

 

Bewegung soll die Energie im Körper fließen lassen

 

Doch was macht Tai Chi so gesund? "Die Bewegungen, die in der Traditionellen Chinesischen Medizin einen wichtigen Platz einnehmen, wirken auf Körper, Geist und Qi", erläutert Jan Leminsky, der seit mehr als fünfzehn Jahren die Kampfkunst praktiziert. Qi oder Chi heißt so viel wie Energie. Die Chinesen gehen davon aus, dass alle Lebewesen von der Urkraft, dem Qi, durchzogen werden. Sinn und Zweck von Tai Chi, das Atem-, Meditations- und Bewegungsübungen beinhaltet, ist es, den Fluss der Lebensenergie Qi im Körper zu harmonisieren.

 

 

 

Regelmäßiges Üben von Tai Chi

führt zu mehr Ausgeglichenheit.

Yin und Yang sind nach der chinesischen Lehre Gegensätze, die zusammen ein Ganzes bilden. Nicht nur der Mensch, sondern das ganze Universum wird von diesen Kräften beeinflusst. Yin ist der Teil, der dunkel, kalt, passiv und materiell ist. Yang ist hell, warm, aktiv und energetisch. Der Mensch ist im Sinne der Traditionellen Chinesischen Medizin krank, wenn der Energiefluss von Qi gestört ist, Yin und Yang im Ungleichgewicht sind. Erkrankte Organe haben einen gestörten Qi-Fluss oder zu wenig Yin- oder Yang-Qualitäten. "Man kann sich Qi wie Honig vorstellen", so Leminsky, "wird er nicht gerührt, ist er hart. So ist es mit dem Qi auch: Je mehr ich mich bewege, desto besser fließt die Energie im Körper."

 

Manche Krankenkassen übernehmen einen Teil der Kosten

 

Üben, üben, heißt deswegen seine Devise, doch schon, "wenn man eine Stunde die Woche trainiert, geht es einem besser". Dass Tai Chi gut für die Gesundheit ist, hat sich mittlerweile auch bei uns herumgesprochen. Einige Krankenkassen übernehmen unter bestimmten Bedingungen zumindest einen Teil der Kosten, die Nachfrage lohnt sich.

In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Studien veröffentlicht, die zeigen, dass Tai Chi unter anderem Depressionen, das chronische Fibromyalgie-Syndrom (FSM, wörtlich übersetzt Faser-Muskel-Schmerz) oder Gelenkentzündungen lindern kann. Patienten mit Morbus Parkinson stürzen seltener und bewältigen ihren Alltag besser, wenn sie zweimal in der Woche für eine Stunde Tai Chi üben, ergab eine Studie des Oregon Research Institute (ORI) in Eugene im US-Staat Oregon. Durch die regelmäßigen Tai-Chi-Übungen besserten sich Beweglichkeit und Gleichgewichtssinn bei den Patienten stärker als bei einer Patienten-Gruppe, die ein übliches Krafttraining absolvierte.

 

Tägliches Üben von Tai Chi stärkt Immunzellen

 

Eine Untersuchung der University of California in Los Angeles hat ergeben: Bei Menschen, die pro Tag 45 Minuten Tai Chi üben, nehmen die Memory-T-Zellen, das sind spezifische Immunzellen, um bis zu 50 Prozent zu, was die Betreffenden widerstandsfähiger gegenüber Krankheiten machen soll.
Tai Chi ist für alle Altersgruppen geeignet. Wichtig ist ein guter Lehrer. Viele bieten eine kostenlose Probestunde an. Ein Gütezeichen ist die Mitgliedschaft des Lehrers im Deutschen Dachverband für Qigong und Taijiquan e.V.

Mark S. geht inzwischen dreimal die Woche für eine Stunde zum Tai Chi. Er ist ruhiger, Stresssymptome sind verschwunden. "Schüler, die emotional im Ungleichgewicht sind", sagt Jan Leminsky, "kommen mit Tai Chi zur Ruhe." Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wer regelmäßig Tai Chi übt, wird kraftvoll wie ein Holzfäller, geschmeidig wie ein Kind und gelassen wie ein Weiser.

 

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Vielen Dank an Ute F. Wegner, dass dieser Text auf unserer Website veröffentlicht werden darf.

 

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